Markusevangelium, Kapitel 10

Kapitel 10 beginnt damit, dass Jeschua Galiläa verlässt und in die Gegend östlich des Jordans kommt (das ist die Gegend der heutigen Hauptstadt Jordanien Amman, damals ein jüdischer Ort). Hier trifft er sich wieder mit Pharisäern, die erneut versuchen, ihn zu prüfen.

Testen oder prüfen – das hatte keine negative Bedeutung im Gegensatz dazu, wie es heute wahrgenommen wird. Es ist der Wunsch Jeschua zu verstehen, zu sehen, wie kompetent er in dieser oder jener Frage ist. Anders gesagt, hier verbirgt sich der Wunsch nach einem intellektuellen Wettbewerb. Mit diesem Ziel kommen sie zu Jeschua und fragen ihn

 (Mk. 10,2):

ob es einem Mann erlaubt sei, sich von seiner Frau zu scheiden, und versuchten ihn damit.

Seitens der Halacha (praktische Vorschriften) ist diese Frage gleichzeitig einfach und kompliziert. Im Buch Dwarim (5.Mose 24) steht geschrieben, wenn der Mann etwas Schamhaftes (hebr. – „dwar arwat“) an seiner Frau findet, dann kann er ihr einen Scheidungsbrief schreiben und sie wegschicken. Dementsprechend bekommt die Frau die Summe, die  in ihrem Ehevertrag (Ketubba) festgeschrieben ist. Nach dem Gesetz geht die Frau in die Ehe mit einem Dokument (es heißt „Ketubba“) ein und verlässt die Ehe mit einem Dokument (es heißt „Get“). „Ketubba“ beschreibt die Verpflichtungen des Ehemannes gegenüber seiner Frau und umgekehrt, und definiert die Summe, die sich der Ehemann verpflichtet, seiner Frau zu zahlen, wenn er sich von ihr scheiden lässt. „Get“ bestimmt, dass die Frau nicht mehr seine Ehegattin ist, d.h. es ist ein Scheidungsbrief und wird durch die Herausgabe einer bestimmten Summe und Festsetzung des Unterhalts begleitet, damit die Frau irgendwie existieren kann. Das ist eine allgemeingültige Regel.

Eine sehr verbreitete Diskussion, die zur damaligen Zeit geführt wurde, bestand darin: Wie soll man „dwar arwat“ – „etwas Schamhaftes“ verstehen? Es gab zwei Hauptschulen im Judentum. Die Lehre einer Schule – „beit Schamaj“ (Haus Schamais) – sagte, „dwar arwat“ ist tatsächlich etwas Schamhaftes, d.h. Unzucht oder Gedanken darüber. Die Lehre einer anderen Schule – „beit Hillel“ (Haus Hillels) bestand darin, dass etwas Schamhaftes, das ist, was dem Mann nicht gefällt, z.B. wenn die Frau sein Abendessen verbrannte. Zur späteren Zeit wurde dieses Thema durch Rabbi Akiva noch weiter überspitzt. Er sagte, dass der Mann, wenn er eine schönere Frau traf, Recht hatte, sich von seiner Frau scheiden zu lassen. Solche Meinungen herrschten damals zu dieser Frage.

Aber mit der Zeit fiel es den Gelehrten schwer, der Lehre der Schule „beit Hillel“ zuzustimmen, die sagte, wenn die Frau das Abendessen verbrannte, dann kann der Mann sich von ihr scheiden lassen. Sie fügten die Korrektur hinzu: wenn die Frau aus dem verbrannten Abendessen die verbrannten Stückchen aussucht und diese dem Mann serviert und dadurch den fehlenden Respekt ihm gegenüber zeigt, kann das als Indiz für die Scheidung betrachtet werden. Natürlich handelt es sich nicht um die Kochkunst, sondern um die Frage der Beziehung. Aber hier sehen wir eher eine Art Kommentatorenkult, keine wirkliche  Einschätzung der Situation. Und eine reale Einschätzung der Situation zeigt, dass die Lehre einer Schule Scheidung nur aufgrund der Unzucht erlaubt, während die Lehre einer anderen Schule es aus einem beliebigen Grund zulässt.

Diese Diskussion ist sehr aktuell, weil sie das Eheleben eines jeden Menschen betrifft. Wir können im Talmud sehen, dass die Fragen bezüglich der Scheidung vor vielen Lehrern auftauchen. Wir kennen einen Lehrer, den seine Schüler fragten: „Warum lässt du dich von so einer schlechten Frau nicht scheiden?“ Darauf antwortete er: „Die Summe in der Ketubba ist sehr hoch. Ich habe eine hohe Verpflichtung im Ehevertrag festgeschrieben.“ Letztendlich halfen die Schüler ihm die Summe zu sammeln. Aber es geht hier vor allem darum, dass das Scheidungsthema auch für die größten Rabbiner auf allen Ebenen aktuell war. Deswegen war es sehr interessant, sich einen Rat von so einem ungewöhnlichen Lehrer wie Jeschua zu holen. Außerdem entstand der Eindruck, dass Jeschua liberaler Ansicht ist und auf seine Art lehrt: er erlaubte mit ungewaschenen Händen zu essen, am Schabbat zu heilen und Ähren zu pflücken. Und was die Scheidung angeht, vielleicht gab es eine solche Erwartung, dass er möglicherweise erlaubt, die Frau wegzuschicken, anstatt sich von ihr offiziell  scheiden zu lassen, und sich dann eine andere Frau zu nehmen.

Aber Jeschua enttäuscht Menschen, die von ihm fertige und konkrete Antworten erwarten. Jeschua antwortet auf jüdische Art – er stellt Frage auf die ihm gestellte Frage

(Mk. 10,3-5):

Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Was hat euch Mose geboten?  Sie sprachen: Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden. Jesus aber sprach zu ihnen: Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben.

Die Tora wurde dem Volk in der Form gegeben, die dem geistlichen Zustand der Gemeinde Israel entsprach. Deswegen behandelt sie den Verkauf von Sklaven und viele andere Aspekte, die in unserer Zeit, nachdem das Volk einen gewissen Evolutionsweg beschritt, wild klingen. Jedoch sind sie in der Tora enthalten. Und Jeschua antwortet, dass unter der Berücksichtigung des geistlichen Zustandes des Menschen die Scheidung in der Tora durch Mosche erlaubt wurde.  Aber ursprünglich war es nicht so.

 (Mk. 10,6-9):

aber von Anfang der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau. Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen, und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.

Ursprünglich war es nicht möglich, das zu trennen, was vereint war. Beim Lesen von Markus Evangelium kann der Eindruck entstehen, dass sich der Mensch nie scheiden lassen darf. Aber wenn Jeschua von einem Fleisch spricht, sagt er auch, wenn die Frau sündigt und sich mit einem anderen Mann vereint, dann geschieht der Ehebruch. In dem Fall wird der eine von Gott vereinte Leib gestört und die Scheidung wird möglich. Aber es ist nicht möglich eine treue Frau zu verlassen oder sie wegzuschicken.

 (Mk. 10,10):

Und im Haus fragten ihn die Jünger abermals danach.

In einem engen Kreis erzählt Jeschua wunderbare Sachen

(Mk. 10,11):

Und er sprach zu ihnen: Wer sich scheidet von seiner Frau und heiratet eine andere, der bricht ihr gegenüber die Ehe;

Wenn man die Worte Jeschuas wörtlich nimmt, dann waren sie für die damalige Zeit eine unerhörte Sache. Bis zu jener Zeit konnte nur eine Frau Ehebruch begehen. Der Ehebruch bestand darin, dass ein unverheirateter oder verheirateter Mann eine Affäre mit einer fremden Ehefrau oder Braut hatte. Somit betrogen sie durch diese Beziehung ihren Mann oder Bräutigam. Eine Frau durch den Ehebruch zu betrügen war zur damaligen Zeit rechtlich einfach nicht möglich.

Vers 12 enthält noch eine außergewöhnliche Aussage

(Mk. 10,12):

und wenn die Frau sich scheidet von ihrem Mann und heiratet einen andern, bricht sie die Ehe.

Nach jüdischem Gesetz kann die Frau einerseits eine Scheidung einleiten, wenn der Mann ihre Bewegungsfreiheit oder ihre Kommunikation mit anderen Menschen gesetzeswidrig einschränkt. Wenn der Mann Impotent oder unfruchtbar ist, kann die Frau sich an das Gericht aus drei Rabbinern wenden und das Gericht wird den Mann verpflichten der Frau einen Scheidungsbrief zu geben. Aber andererseits, rechtlich kann nur ein Mann die Scheidung vollbringen. Deswegen war die Situation, wenn die Frau sich von ihrem Mann scheiden lässt und einen anderen Mann heiratet, für die damalige Zeit unrealistisch.

Verschiedene Kommentatoren verstehen es unterschiedlich. Einige sagen, dass Verse von 10 bis 12 ein späterer Einschub sind, der vom römischen Recht spricht. Andere sagen, dass diese Verse unter Berücksichtigung der Situation der Juden aus Transjordanien geschrieben wurden, die freiere Beziehungen hatten. Aber es ist schwierig, diese Hypothese mit etwas zu verbinden. Es gibt noch eine Version, die davon spricht, wenn jemand sich scheiden lässt und eine andere Frau heiratet, der seine erste Frau zum Ehebruch verleitet, da sie gezwungen wird, nach einem anderen Mann zu suchen. Heiratet sie ein zweites Mal, begeht sie Ehebruch. Also  wieder, hier geht die Rede um das Verhalten einer geschiedenen Frau.

Also, welcher Meinung sollte man zustimmen und wie kann man Worte Jeschuas erklären? Unter Berücksichtigung, dass sich Jeschua mit seinen Schülern in einem engen Kreis unterhält und sie „halacha“(praktische Vorschriften) unterrichtet, kann man annehmen, dass Jeschua von den Gesetzen für eine künftige Gemeinde spricht. Er legt strengere Maßstäbe für neue Gemeinden, die der Tora nicht widersprechen, aber viel strikter sind (möglicherweise für die Gemeinden, die nicht nur aus Juden bestehen werden). Wenn man behaupten wird, dass der eine oder andere Einschub durch Römer oder Kirchenväter eingefügt wurde oder, dass das  Evangelium durch Missetäter komplett oder teilweise verzerrt ist – diese Einstellung ist eine Sackgasse, kein guter Weg.

In Jerusalem gab es die Tradition, dass am Anfang des Monats Nissan zu den Ältesten Kinder zum Segnen gebracht wurden. Die Ältesten segneten die Kinder, wünschten ihnen viel Erfolg in der Tora, in der Ausübung guter Taten, in der Ehe. Im Vers 13 werden auch zu Jeschua Kinder gebracht

(Mk. 10,13-16):

Und sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an.  Als es aber Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes.  Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie.

Das Reich Gottes wie ein Kind anzunehmen bedeutet: wie ein Kind die Autorität seines Vaters und seiner Mutter annimmt, ohne sich Gedanken zu machen, inwieweit seine Eltern klug sind, ohne sie mit anderen zu vergleichen. Im Weltbild des Kindes gibt es nur Vater und Mutter. Natürlich benötigt unser himmlischer Vater solche Apologie nicht, dass er a priori als der Klügste und der Beste anerkannt wird. Aber dieser kindliche Zustand selbst – ist der wahre Zustand gläubiger Menschen, der sie zu Erben des Reiches Gottes macht.

Jeschua macht sich auf den sehr schweren Weg nach Jerusalem. Unterwegs erwartet ihn noch eine Begegnung

 (Mk. 10,17-18):

Und als er hinausging auf den Weg, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als der eine Gott.

Dieser Abschnitt ist schwer zu kommentieren. Wahrscheinlich sagte dieser „einer“ (an anderen Stellen „ein junger Mann“) Jeschua: „Rabbi hatov! Was soll ich tun, um ewiges Leben zu erben?“ Im Tanach(in christlichen Tradition – der Kanon des Alten Testaments), im Buch Sprüche und Prediger kommt es vor, dass man einen Menschen gut nennt.  Jeschua selbst verwendet im Matthäus Evangelium diesen Begriff – ein guter Mensch. Warum hier löst die Aussage „guter Meister“ einen solchen Widerstand? Wahrscheinlich ist „guter Meister“ in den Augen des Fragenden ein Meister, der den Menschen verändern, ihn gut machen kann.  Ihm nicht das Gesetz zu lehren, ihm nicht das Dienen oder innere Korrektur beizubringen, sondern ihn in einen guten Menschen zu verwandeln. Und Jeschua antwortet, dass es niemanden außer Gott gibt, der dies machen könnte.

Hier geht es nicht um die Bestätigung oder Widerlegung des göttlichen Wesens Jeschuas. Man kann aufgrund dieses Verses nicht sagen, dass Jeschua kein Gott ist oder umgekehrt. Hier ist ein Hinweis auf die Weltanschauung, auf die Korrektur der Weltanschauung dieses jungen Mannes.

Weiter setzt Jeschua seine Antwort fort

(Mk. 10,19-20):

Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.« Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.

Dieser aufrichtige Jüngling wurde zum Prototyp in vielen Predigten in den Kirchen und oft zu einem negativen Prototyp. Aber man kann sehen, dass dieser Mensch ehrlich ist und seine Anrede uneigennützig ist: er fragt nicht nach der Gesundheit der Kindern, er bittet um keine Heilung für sich… er will in der Tat das, was Jeschua lehrt zu wollen – danach streben, um das ewige Leben zu erben. Auf Jeschuas Frage zu den einzelnen Geboten antwortet er, dass er sie von seiner Jugend her bewahrte. Und Jeschua gibt zu, dass dieser Mensch sich bemühte, die Gebote zu halten.

 (Mk. 10,21)

Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach!

Man soll darauf achten, dass der Jüngling  damit nicht zufrieden war, dass seine Bemühungen die Gebote zu halten gebilligt wurden, sondern, er bat um mehr, um auf die nächste Stufe der Heiligkeit zu kommen, um noch vollkommener zu werden. Darauf sagte Jeschua: „Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben.“

(Mk. 10,22):

Er aber wurde betrübt über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.

Das ist die Traurigkeit des Menschen, der auf dem Weg zu Jeschua dachte, dass er alles tun kann, um das Gewünschte zu bekommen, alles opfern kann. Aber plötzlich versteht er, dass es Sachen gibt, die er nicht opfern kann. Deswegen geht er traurig weg.

Markus spricht von der Traurigkeit und sehr wohl wird diese Traurigkeit später ihre Früchte bringen. Möglicherweise endet die Geschichte damit nicht. Er hatte ein großes Vermögen und es war schade, sich von diesem Vermögen zu trennen. Ich frage oft Menschen, die ein großes oder kleines Gut besitzen – eine Wohnung oder Haus, ob sie bereit sind, es zu verkaufen und Geld an Arme zu verteilen? Und wenn Menschen sich solche Frage stellen, stellt sich heraus, dass die Bereitschaft fehlt. Und nicht alle werden diesbezüglich traurig…

Jeschua spricht zu seinen Schülern

(Mk. 10,23-24):

Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte.

 Sie waren entsetzt, weil es angenommen wird, dass Reichtum und Segen gehen Hand in Hand.  Dann wiederholt Jeschua und gibt eine Erklärung:

Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist’s, ins Reich Gottes zu kommen!

Wenn der Mensch Angst hat, seinen Reichtum zu verlieren, und sich auf ihn verlässt, dann stört es ihn Gott nachzufolgen, weil er dem Reichtum dienen wird und nicht nach Gott streben. Jeschua bringt eine Metapher

 (Mk. 10,25):

Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.

Diese Metapher verwirrte viele Kommentatoren, einige vermuteten, dass die Rede hier nicht um ein Kamel geht, sondern um ein Schiffsseil, das man durchs Nadelöhr ziehen kann. Ein Mythos entstand, dass es in Jerusalem ein sehr kleines Nadeltor gab, dass das Kamel nur mit Mühe und Not passieren konnte. In der Tat existierte dieses Tor nicht. Es gibt keine historischen Beweise über die Existenz dieses Tores und man kann ruhig sagen, dass die Geschichte ausgedacht ist.

Aber der Ausdruck „jemanden durch das Nadelöhr ziehen“ (in Babylon wurde dabei ein Elefant und in Galiläa ein Kamel gemeint) bedeutet „etwas Unmögliches“. In Babylon wurde der Ausdruck „einen Elefanten durch das Nadelöhr ziehen“ mit der Bedeutung verwendet, etwas rechtlich Kompliziertes zu schaffen: einen Schuldigen freizusprechen, einen Unschuldigen zu verurteilen, das Verbotene zu erlauben, das Erlaubte zu verbieten usw.

Als die Jünger hörten, wie schwer es ist, in das Himmelreich zu kommen, erschraken sie .

(Mk. 10,26-27):

Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden? Jesus sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.

Letztendlich führt Gott den Menschen zur Errettung und Er tritt als errettende Kraft auf. In Kirchen und Gemeinden neigen wir dazu zu diskutieren, dass die eine oder andere Person nicht errettet wird, weil sie nicht so glaubt und handelt, wie es sich gehört. Natürlich sollen wir uns auf der Basis des eigenen Schriftverständnisses um die Errettung des Nächsten kümmern. Aber gleichzeitig dürfen wir die rettende Kraft des Allmächtigen nicht begrenzen. Gott kann, wenn Er will, jeden Menschen aus jedem Zustand retten.

Petrus ist mit dieser Information überfordert und stellt die Frage

(Mk. 10,28-31):

Da fing Petrus an und sagte zu ihm: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Jesus sprach: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker verlässt um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der nicht hundertfach empfange: jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker mitten unter Verfolgungen – und in der kommenden Welt das ewige Leben. Viele aber werden die Letzten sein, die die Ersten sind, und die Ersten sein, die die Letzten sind.

So eine Antwort auf Petrus Frage wäre viel später angebracht. Denn die Verfolgungen begannen noch nicht und niemand empfing das Hundertfache an Häusern und Geschwistern. Hier meint Jeschua eher einen evangelistischen Midrasch(Auslegung) auf eine bekannte Aussage aus dem Tanach aus Ps. 37:25, die sagt: „Ich bin jung gewesen und alt geworden und habe noch nie den Gerechten verlassen gesehen und seine Kinder um Brot betteln.“ Midrasch sagt traditionell, dass diese Worte von dem Weltfürsten – „Sar haOlam“ oder Friedefürsten – „Sar haSchalom“ gesagt wurden – das sind Titel, die für Jeschua angewendet werden können. Ein Gerechter, der sein Leben dem Dienst für Gott, Gesetz, Tora und Evangelium widmet, wird nie verlassen. Und man kann sehen, dass er eine Belohnung erhält. Im Brief an Hebräer wird auch gesagt, dass Mosche Christi Leiden bevorzugte, d.h. Christi Leiden konnten schon vor Christus vorhanden sein. Die Selbstaufopferung für das Volk, für andere Menschen – bedeutet Christi Leiden zu teilen.

Es gibt auch Kommentatoren, die sagen, dass dies ein Einschub aus späteren Zeiten ist und dieses Kapitel mehrmals redigiert wurde. Aber wie bereits oben erwähnt, empfiehlt es sich, sich an diese Herangehensweise nur in Ausnahmefällen zu halten, wenn der Einschub durch den Text bestätigt wird, wenn der in bestimmten Manuskripten fehlt.

(Mk. 10,32):

Sie waren aber auf dem Wege hinauf nach Jerusalem, und Jesus ging ihnen voran; und sie entsetzten sich; die ihm aber nachfolgten, fürchteten sich.

 Es wäre korrekter zu übersetzen, dass Jeschua vorne ging, die Jünger sich entsetzen und die Begleiter Angst bekamen. Angst, weil Jeschua vermied lange Zeit absichtlich die Konfrontation mit Juden. Und wahrscheinlich wussten die Jünger von den bösen Absichten der Pharisäer bezüglich Jeschua

(Mk. 10,32-34):

Und er nahm abermals die Zwölf zu sich und fing an, ihnen zu sagen, was ihm widerfahren werde: Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und der Menschensohn wird überantwortet werden den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten, und sie werden ihn zum Tode verurteilen und den Heiden überantworten, und die werden ihn verspotten und anspeien und geißeln und töten, und nach drei Tagen wird er auferstehen.

Zum ersten Mal erzählt Jeschua, was ihm geschehen wird. Dieses Geißeln und Spucken wird auch von Propheten in der einen oder anderen Form erwähnt, von Propheten Jesaja. Somit erfuhren die Jünger, was genau Jeschua passieren wird und wohin sie gehen

(Mk. 10,35):

Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen zu ihm: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, was wir dich bitten werden.

Wahrscheinlich interessieren sich Jakobus und Johannes wenig dafür, welche Versuchungen Jeschua überstehen muss. Sie verstehen, dass er der Maschiach ist, und nach der Auferstehung wird er die Macht selbst in die Hand nehmen und das Königreich wiederherstellen. Und in diesem Reich wird die Zeit kommen, da die Posten verteilt werden. Und je früher man sich darum kümmert, desto bessere Positionen kann man bekommen

(Mk. 10,36-40):

Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, (traditionell symbolisiert der Kelch das Leiden) oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.

Wenn man ungefähr versteht, was mit dem Kelch gemeint ist, dann ist die Bedeutung der Taufe in diesem Kontext überhaupt nicht klar. Bei Jesaja und in Psalmen, wenn David sagt (Ps. 69:2): „das Wasser geht mir bis an die Kehle“, in der Übersetzung von Aquila  Sinopsky wird das Verb „baptiso“ verwendet, was bedeutet „ich lasse mich taufen“, d.h. „ich bin bereits getauft.“ Bei Jesaja 43,2 steht es „muss du durchs  Wasser gehen..“ und es wird wieder das Wort „baptiso“ verwendet. Erlebnis einer kritischen Periode, Qualen im Laufe der Zeit – sind mit Taufe verbunden. Und Taufe symbolisiert in diesem Fall: etwas durchmachen, eine Phase der Ablehnung durch die Welt durchgehen.

(Mk. 10,41-42):

Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.

Der Grund für das Entrüsten lag daran, dass Jakobus und Johannes zum ersten Mal an Jeschua traten und hinter den Rücken der anderen begannen Politik zu betreiben. Worauf Jeschua antwortet:

Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. 

„Die Herrscher“ sind diejenige, die fehlerhaft durch Völker verehrt, bewundert werden. Jeschua zeigt, dass nur in der sichtbaren Welt sichtbare Menschen einem sichtbaren König dienen. Tatsächlich aber, herrscht der Allmächtige über alles.

(Mk. 10,43):

Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein;

„Ein Diener“ ist einer, der sich selbst zurückstellt und demütigt. In der kommenden „ verdrehten“ Welt, über die wir schon gesprochen haben wird er der Größte sein.

 (Mk. 10,44-45):

und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

Hier wird das Wort mit der Bedeutung „Lösegeld für gefangene Soldaten“ verwendet, um  viele loszukaufen. Das Wort „viele“ ruft bei einigen Erstaunen hervor. „Warum nicht alle? Warum nicht die ganze Welt?“ Aber hier wird eine für Hebräisch typische Gegenüberstellung „einer“ (echad) und „viele“ (rabim) verwendet. „Rabim“ kann in diesem Zusammenhang „alle“ oder „eine große Menschenmenge“ bedeuten, aber es besteht kein Widerspruch.

(Mk. 10,46):

Und sie kamen nach Jericho. Und als er aus Jericho hinausging, er und seine Jünger und eine große Menge, da saß ein blinder Bettler am Wege, Bartimäus, der Sohn des Timäus.

Das ist eine traditionelle Situation. Ein großer Pilgerstrom läuft, sie gehen durch Jericho und steigen nach Jerusalem. Der Platz am Wegrand bei Ausgang aus Jericho war sehr passend für einen Bettler.

 (Mk. 10,47-48):

Und als er hörte, dass es Jesus von Nazareth war, fing er an zu schreien und zu sagen: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Und viele fuhren ihn an, er sollte schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!

Der Blinde wurde zum Schweigen gezwungen. Warum? Erstens, weil sich immer soziale Aktivisten finden, die sich für Ordnung einsetzen. Zum anderen, weil der Ausdruck „Sohn Davids“ jemanden bezeichnet, der auf das Königreich Anspruch erhebt, und das war gefährlich in der Gegend. Denn zur damaligen Zeit herrschte ein  Kaiser – in Rom, er hatte viele Statthalter und brauchte keine Söhne Davids.

 (Mk. 10,49-50):

Und Jesus blieb stehen und sprach: Ruft ihn her! Und sie riefen den Blinden und sprachen zu ihm: Sei getrost, steh auf! Er ruft dich! Da warf er seinen Mantel von sich, sprang auf und kam zu Jesus.

Hier kann man zwei Bestandteile sehen. Zum einen, sind es Details der Zeugniserzählung. Wenn das z.B. Petrus Erinnerung ist, dann kann man vermuten, dass Petrus und andere den Blinden kannten, da sie ihn mit Namen riefen. Er war wahrscheinlich ein bekannter Mann. Zum zweiten, solche Einzelheit wie „Da warf er seinen Mantel von sich“ kann die Situation beschreiben, wenn man schmutzige Arbeitskleidung auszieht, um vor jemandem Heiligem, Wichtigem, vor dem König aufzutreten. Der Blinde stand auf und kam zu Jeschua.

 (Mk. 10,51-52):

Und Jesus antwortete ihm und sprach: Was willst du, dass ich für dich tun soll? Der Blinde sprach zu ihm: Rabbuni („Rabbuni“ ist die höchste Form des Respektausdrucks zum Lehrer), dass ich sehend werde. Und Jesus sprach zu ihm: Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen. Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach auf dem Wege.

Hier soll ein wichtiges Detail erwähnt werden. Laut Midraschim(Auslegungen) und Tradition gehören Jericho und Beit-El zu den verdorbensten Städten in Israel. Jericho steht auf dem ersten Platz, Beit-El ist auf Platz zwei. Jericho war so, weil es von Jeschua ben Nun(Josua) verflucht wurde. Und Beit-El war so, weil es in ihm heidnische Götzenaltäre gab. Jericho befindet sich nicht weit von Jerusalem. Der Talmud sagt, dass man in Jericho hören konnte, wie die Tore in Jerusalem geöffnet wurden, wie der Hahn in Jerusalem krähte. Aber Jericho antwortete auf diesen Ruf nicht, sondern es blieb die am meisten verdorbene Stadt in Israel. Und hier von der geistlichen Abgrund Israels ertönte ein offenes Bekenntnis „Jeschua ben David“ (Jeschua Sohn Davids)! Zum ersten Mal war das Bekenntnis offen, weil Jeschua zum ersten Mal dem Blinden nicht verbat, darüber zu sprechen, und der Blinde folgte offen Jeschua nach. Es war vollbracht! Aus Jericho, aus dem geistlichen Abgrund Israels erklang sozusagen die frohe Botschaft darüber, dass ben David kam und heilte. Das ist die letzte Geschichte in der Heilungsreihe in Markus Evangelium.

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