Markusevangelium, Kapitel 11

Das elfte Kapitel des Markus Evangeliums ist eines der schwierigsten Kapitel im Bibelstudium sowohl wegen der inhaltlichen Spannung als auch wegen der hier auftretenden Symbolik. Deswegen werden wir vom Text abweichen und Exkurse in die Geschichte machen, was genauso interessant und nützlich sein wird. Das Kapitel beginnt damit, dass Jeschua den Aufstieg nach Jerusalem beendet. Normalerweise geht man nicht nach Jerusalem, sondern steigt auf, genauso wie man innerhalb von Jerusalem zum Tempel aufsteigt. Genau diese Verben werden sowohl in Tanach(in der christlichen Tradition – der Kanon des Alten Testaments), als auch im Neuen Testament verwendet.

(Mk. 11,1-3):

Und als sie in die Nähe von Jerusalem kamen, bei Betfage und Betanien am Ölberg, sandte er zwei seiner Jünger und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und alsbald wenn ihr hineinkommt, werdet ihr ein Füllen angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat; bindet es los und führt es her! Und wenn jemand zu euch sagen wird: Was tut ihr da?, so sprecht: Der Herr bedarf seiner, und er sendet es alsbald wieder her.

«Er sendet es alsbald» – d.h. Jeschua sendet seine Schüler, damit sie für kurze Zeit ein Eselfohlen ausleihen, und verspricht es anschließend zurückzugeben. Warum schickt Jeschua nur zwei Schüler? Zwei Schüler können Zeugen sein, dass das Eselfohlen ausgeliehen wird oder diese zwei Schüler wissen, dass der Besitzer des Esels auf Jeschuas Seite ist. Höchstwahrscheinlich ist es nicht nötig bei dieser Frage irgendeine Mystik zu suchen.

Die Prophetie von Sacharja sagt, dass der Maschiach als ein armer Mensch kommt, der einen Esel reitet. Die nächste wichtige Frage ist, wozu der Maschiach einen Esel braucht? Warum kann er nicht in einer Trage von Sklaven getragen werden, in einem Wagen fahren oder ein Pferd reiten? In der Prophetie von Sacharja steht geschrieben (Sach. 9:9): Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.

Der persische König Schabor (3. Jahrhundert) fragte einen Weisen: Warum erscheint euer Maschiach so arm, auf einem Esel? Soll ich ihm vielleicht meine Hengste schicken? Ich kann ihm mein bestes Pferd schicken.“  Darauf antwortete der Weise: „Hast du, König, einen Hengst, dessen Färbung tausende von Tönen hat?“ – der König sagte: „Nein.“ Der Weise setzte fort: „Unser Esel ist aber so.“ Natürlich wiedergibt das Gesagte keine genaue Beschreibung des Esels. Es ist eine Metapher, die damit verbunden ist, dass das Bild eines Esels sehr tiefe Wurzeln in jüdischer Tradition hat.

Zu Beginn ist zu sagen, dass die Mischna(eine Sammlung  der Gesetze und Bestimmungen aus dem 2 Jh.) erzählt, dass Adam sündigte und fiel (das war am Freitag, der Schöpfungsprozess nahte sich dem Ende). Danach, in der Dämmerung des sechsten Schöpfungstages, wurden noch weitere zehn Dinge erschaffen. Das sind : der Mund der Erde (der Korach verschlucken wird), die Quelle des Brunnens (Miriams Brunnen, der Juden in der Wüste begleitete), der Mund von Bileams Eselin, der Regenbogen, das Manna, der Stab, Schamir (Wurm, der für den Tempelbau eingesetzt wurde) und die Bundestafeln. Einige zählen dazu noch das Grab von Mosche Rabejnu, den Bock (den Abraham anstatt von Izchak opferte) und den Esel des Maschiachs. Das sind wie zehn Stufen, zehn Markierungen in Gottes Heilungsplan von der Sünde.

Die Tradition sagt, dass der Esel von Maschiach vorher auch der Esel von Abraham und Mosche war. Aus all diesen Überlieferungen entsteht die Frage, welche Rolle der Esel spielt? Und wozu soll der Maschiach einen Esel reiten, der ein paar Tausend Jahre alt ist? Warum nimmt er nicht ein junges Eselfohlen?

Natürlich ist die Vereinigung der drei Esel in einen eine Metapher, obwohl einige glauben, dass dieser Esel beim Allmächtigen irgendwo im Verborgenen aufbewahrt wird. Aber hier geht die Rede nicht um den Esel selbst, sondern um seine Funktionen. Das Wort „Esel“ (hebr. „chamor“) ist mit dem Wort „chomer“ vom Hebräischen „Materie, Fleisch“ verbunden. Den Esel zu reiten bedeutet den Sieg über die materielle Welt. Daher sollen wir genauer betrachten, auf welche Art und Weise Abraham, Mosche und Jeschua diesen Esel nutzten.

  • Abraham nimmt Äste, alles Nötige für den Altar und legt es auf den Esel, er selbst läuft mit dem Sohn zu Fuß, er setzt sich nicht auf den Esel.
  • Mosche setzt seine Familie, seine Frau und Kinder, auf den Esel. Er selbst setzt sich nicht.
  • Der Dritte in dieser Kette ist der Maschiach. Er setzt sich auf den Esel und reitet ihn.

Die Weisen sahen in diesen drei Herangehensweisen drei Stufen des Sieges über die materielle Welt. Zunächst können wir nur Gegenstände unseres Alltags heilig machen – das ist die erste Stufe. Die zweite Stufe ist, wenn wir anfangen, die Heiligkeit zu berühren, denn Frau und Kinder sind dasselbe Fleisch eines Menschen, ein Teil von ihm. Aber der Mensch ist noch nicht vollständig geheiligt. Die Frau heiligt sich früher als der Mann, sie kommt mit einem größeren Potenzial an Heiligkeit in diese Welt. Daher hat sie weniger Verpflichtungen bezüglich einzelner Gebote. Im Fall von Mosche heiligten sich seine Frau und Kinder und das wurde zum Anfang seiner Heiligung. Die dritte Stufe des Sieges über die materielle Welt ist der Maschiach. Er ist frei von dem Besitztum und von der Familie, in diesem Sinne ist er „anii“ – arm. Und er reitet voll und ganz einen Esel.

Midrasch Tanhuma sagt, dass der Allmächtige die Weltordnung um des Volkes Israel willen veränderte. In der Tora (2. Mose 13:13) steht, dass des Esels Erstgeborenes als einziges von allen Tieren ausgelöst wurde. Der Erstgeborene eines Esels wird durch ein Lamm erkauft. Der Allmächtige sagt (im Midrasch Tanhuma): „Ich bestimmte das Gesetz in dieser Welt so, dass der Erstgeborene eines Esels durch ein Lamm erkauft wird. Aber ich selbst handle danach nicht, weil ich ein Lamm durch einen Esel erkaufte. Denn Ägypter, unter denen ihr lebtet, werden mit einem Esel verglichen, wie es geschrieben steht: „deren Fleisch wie Eselsfleisch…war “ (Hes. 23:20 (SLT)). Die Israeliten werden einem Lamm gleichgestellt. Wie es geschrieben steht: „Israel ist ein versprengtes Schaf“ (Jer. 50:17). Und der Allmächtige sagt: „Ich schlug alle Erstgeburt im Land Ägypten und heiligte zum Dienst für mich alle Erstgeburt in Israel.“ (4.Mose 3:13).

Der „Esel“ dient als Erlösung für das „Lamm“, obwohl das Gebot der Tora es andersrum vorschreibt. Trotzdem, spielt der Esel eine wichtige Rolle in der Erlösung Israels. Da die Ägypter vom Propheten dem Esel gleichgestellt wurden, stellt der Sieg über das Materielle den Höhepunkt der Erlösung, die in Ägypten begonnen hat, dar. In diesem Zusammenhang bekommt der Esel eine besondere symbolische Bedeutung.

Man kann noch weitere zahlreiche Beispiele für die Eselssymbolik nennen. Wir schauen uns noch eine näher an.

Gleich nach dem Beginn von Pessach beginnt die Opferung der ersten Gerstengarbe (3.Mose 23:11). Man opfert Gerstengarben, aber man bringt im Tempel keine Speiseopfer aus Weizen. Wie die Weisen erklären: man bringt Eselsfutter(Gerste) in den Tempel. Warum geschieht es so? Die Weisen sagen, dass eine Degradation der Generationen geschieht. Im Vergleich zu vorherigen Generationen werden wir schwächer in der Toraverständnis, in der Befolgung der Gebote. Wären unsere Vorfahren wie Engel, so wären wir vor ihnen wie Menschen. Wenn unsere Vorfahren aber Menschen waren, so sind wir wie Esel in Vergleich zu ihnen. Von Pessach bis zur Darbringung der Opfergabe aus Weizen, die ganze Zeit der Omerzählung(49 Tage – 3.Mose 23:15) oder die ganze Zeit nach dem Auszug aus Ägypten bis zum Aufstieg auf den Berg Sinai (oder von Jeschuas Auferstehung bis zum Ausgießen des Heiligen Geistes), jedes Jahr durchlaufen wir sozusagen eine Entwicklung von einem Esel zu einem Menschen. Das Reiten auf dem Esel beginnt symbolisch mit der Einfahrt in Jerusalem.  Wenn man es noch tiefer betrachtet, dann, von der Zeit, als Abraham alles für die Opfergabe Nötige auf den Esel auflud. Deswegen wird der Esel in dem Fall einem Pferd oder einem anderen Tier, einem Auto, einem Flugzeug oder einer Trage vorgezogen.

Aus der Sicht der Mystiker oder jüdischen Kommentatoren könnte man vermuten, dass es einen Ort am Berg Eleon(Ölberg) gibt, woher dieser Esel genommen wurde. In der Tat gibt es eine Überlieferung, dass Abraham bis jetzt diesen Esel bewacht. Betrachtet man diese Episode mystisch, dann hätten zwei Schüler Jeschuas wohl zu Abraham kommen können, um diesen Esel zu holen. Aber höchstwahrscheinlich würde eine der oben beschriebenen Varianten an der Stelle besser passen: Entweder ausgeliehen diese beiden, als Zeugen, den Esel für kurze Zeit. Der Besitzer vertraute ihnen und gab den Esel. Oder diese zwei Schüler wussten, dass der Besitzer des Esels auf Jeschuas Seite ist.

 (Mk. 11,4):

Und sie gingen hin und fanden das Füllen angebunden an einer Tür draußen am Weg und banden’s los.

Es war sehr unbequem auf einem Esel zu sitzen, weil der Esel ein starkes, aber gleichzeitig mageres Tier ist. Deswegen breitete man auf ihm etwas aus, in diesem Fall legten die Schüler möglicherweise ihre Oberbekleidung auf.

 (Mk. 11,8):

Und viele breiteten ihre Kleider auf den Weg, andere aber grüne Zweige, die sie auf den Feldern abgehauen hatten. 

Die Zweige wurden auf den Weg ausgebreitet, damit der Esel weich treten konnte. Es gibt heute Lehrer, die der Meinung sind, dass dies dafür getan wurde, damit sich Jeschua rituell nicht verunreinigte. Diese Vermutung hat überhaupt keinen Sinn, weil der Esel ein unreines Tier ist und ihn von der Berührung mit Erde zu schützen ist sinnlos. Aber die rituelle Unreinheit des Esels macht den auf ihm sitzenden Menschen nicht unrein.

Menschen, die Jeschua begleiteten, riefen aus

 (Mk. 11,9-10):

Und die vorangingen und die nachfolgten, schrien: Hosianna! (aus aram. „Hoschia na“ –  Errette uns) Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Gelobt sei das Reich unseres Vaters David, das da kommt! Hosianna in der Höhe!

„Hosianna in der Höhe“ bedeutet ein Zeugnis davon, dass Freude im Himmel herrscht (das ist ein ekstatischer Teil des Lobgesangs). Somit tritt Jeschua in Jerusalem in Begleitung einer großen Menschenmenge ein, die ihn als König bejubelt. Alle sind von Freude erfüllt.

 Aber dieses Ereignis hat ein ungewöhnliches Ende

(Mk. 11,11):

Und er ging hinein nach Jerusalem in den Tempel und er besah ringsum alles, und spät am Abend ging er hinaus nach Betanien mit den Zwölfen.

Jeschua kommt in den Tempel herein. Man kann denken, dass jetzt etwas passiert, dass sich alle feierlichen Ereignisse in seiner Gegenwart abspielen werden. Aber Markus Erzählung enthält nichts ähnliches. Jeschua kommt am Abend, betrachtet alles. Einige Kommentatoren verstehen das Wort „alles“, als ob Jeschua in das Allerheiligste eintrat. In der Tat war der Tempel ein großes, grandioses Gebäude. Ursprünglich war es schon ein großer Bau, geschweige denn in der Zeit von Herodes. Herodes war ein Kenner der Architektur und er baute den Tempel so aus, dass man einige Tage dort spazieren gehen und ihn sich anschauen konnte. An einem Abend konnte Jeschua sich nicht den ganzen Tempel anschauen, er kehrte nach Betanien zurück. Natürlich, er konnte früher kommen ( wir sehen in anderen Evangelien eine andere Beschreibung) und zu arrangieren, was Jeschua am nächsten Tag arrangieren wird. Hier kann man wieder den Ausdruck der Gnade dem Volk gegenüber sehen. Wie das Kommen Jeschuas und das Gericht in zwei Stufen aufgeteilt wird, so ist auch der Tempelbesuch in zwei Etappen geteilt. Das alles symbolisiert Demut und Bescheidenheit der richterlichen Fähigkeiten von Jeschua, Komprimierung des Gerichtsmaßes, damit sich das Maß der Gnade vergrößern kann.

Somit kehrte Jeschua zu dem einige Kilometer entfernten Betanien zurück. Vermutlich übernachtete er auch dort.

(Mk. 11,12-14):

Und am nächsten Tag, als sie von Betanien weggingen, hungerte ihn. Und er sah einen Feigenbaum von ferne, der Blätter hatte; da ging er hin, ob er etwas darauf fände. Und als er zu ihm kam, fand er nichts als Blätter; denn es war nicht die Zeit für Feigen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihm: Nun esse niemand mehr eine Frucht von dir in Ewigkeit! Und seine Jünger hörten das.

Wir gehen weiter zum Vers 20

(Mk. 11, 20-26):

Und als sie am Morgen an dem Feigenbaum vorbeigingen, sahen sie, dass er verdorrt war bis zur Wurzel. Und Petrus erinnerte sich und sprach zu ihm: Rabbi, sieh, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt. Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Habt Glauben an Gott! Wahrlich, ich sage euch: Wer zu diesem Berge spräche: Heb dich und wirf dich ins Meer!, und zweifelte nicht in seinem Herzen, sondern glaubte, dass geschehen würde, was er sagt, so wird’s ihm geschehen. Darum sage ich euch: Alles, was ihr betet und bittet, glaubt nur, dass ihr’s empfangt, so wird’s euch zuteilwerden. Und wenn ihr steht und betet, so vergebt, wenn ihr etwas gegen jemanden habt, damit auch euer Vater im Himmel euch vergebe eure Übertretungen.

Viele christliche Kommentatoren verbrauchten große Menge an Tinte um zu erklären, warum Jeschua den Feigenbaum verflucht. Normalerweise erschafft Jeschua, anstatt zu zerstören. Hier jedoch, unerwartet, verflucht er plötzlich den Baum.

Häufig glauben die Kommentatoren, dass es in dieser Geschichte um Israel geht. Denn im Tanach(in der christlichen Tradition – der Kanon des Alten Testaments) und in den Evangelien wird Israel mit dem Feigenbaum verglichen. Betrachtet man das Ganze mit einer gewissen Ironie, dann ergibt sich folgende Situation: Denjenigen, die diese Meinung vertreten, fällt es schwer, sich vorzustellen, dass Messias Jeschua den Baum verflucht, weil es nicht human ist. Eine ganz andere Sache ist, wenn man ein paar Generationen, paar Millionen Juden verflucht. Im Vergleich zum Fluch eines Baums ist es nicht so schlimm. D.h., die Kommentatoren sind der Meinung, dass Jeschua Israel verfluchte, weil es mit Blättern bedeckt ist. Es verhält sich so, als ob es Früchte bringt, aber man findet bei ihm keine Früchte. Deswegen wird niemand von seinen Früchten genießen.

Dabei geschah diese Geschichte einen Tag nachdem  Israel Jeschua festlich bei der Einfahrt nach Jerusalem begrüßte, nach allen wundervollen Ereignissen in Galiläa, und nachdem Jeschua in der verdorbensten Stadt Israels Jericho als „König auf  Davids Tron“ gefeiert wurde.

Bekannt ist, dass Jeschua in der Endzeit kommt – in der Zeit, wenn er am meisten gebraucht wird. Hier steht aber, dass es nicht die Zeit war, das der Feigenbaum Früchte bringt. Wenn Petrus zu Jeschua sagt: „Siehe, der von dir verfluchte Feigenbaum ist trocken geworden.“, antwortete Jeschua darauf nicht: „Ihr sollt verstehen…“, sondern er sagt: „Habt glauben…“ Er droht nicht, dass dies jeden erwischt, der ihn nicht annimmt oder ihm nicht gehorcht. Zudem spricht Jeschua von Vergebung.

Jeschua sagt den Schülern überhaupt nichts über das Gericht über den Feigenbaum (geschweige denn über das Gericht über Jerusalem). Er erzählt von der Möglichkeit zu verfluchen. Das ist das Hauptgesprächsthema. Deswegen sagt Jeschua weiter zu seinen Schülern: „Ihr sollt vergeben.“ Wenn ihr betet, vergebt! Beeilt euch nicht, jemanden zu verfluchen, wartet nicht auf eine Strafe. Dann wird auch euer Himmlischer Vater euch vergeben. Wenn ihr nicht verflucht, wird kein Fluch über euch kommen.

Also, was ist der Sinn der Geschichte mit dem Feigenbaum?

Die erste Erklärung ist eine der ältesten Erklärungen von Ephräm den Syrer. Das ist einer der Urväter der orthodoxen Kirche, einer und der letzte, der gegen die Erklärung über den Fluch Israels war.  Sein Argument besteht darin, dass der Feigenbaum nicht im Zusammenhang mit Jerusalem stehen konnte, er schreibt:

„Einige sagen, dass der Feigenbaum Jerusalem bezeichnet. Da er keine Frucht brachte, sagt man, er wurde dem Feigenbaum ähnlich, verflucht. Man behauptet, Der, Der nach Buße suchte, und suchte danach bei den Jerusalemern, fand nichts. In dem Zusammenhang wird noch eine weitere Aussage zitiert: „Ein Mensch hatte einen Feigenbaum in seinem Weingut (Vergl. Lk. 13:6). Das eine und das andere wird auf Jerusalem bezogen.“ Hier argumentiert Syrer: „Wenn er nach Früchten von Jerusalem suchte, warum verfluchte er es als einen Feigenbaum, für den noch nicht die Zeit war, Früchte zu bringen? Wenn seine Zeit noch nicht kam, wie soll man dann die Worte des Apostels verstehen: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn“ (Vergl. Gal. 4:4) Da das Kommen des Eingeborenen zur richtigen Zeit stattfand, warum wird dann der Feigenbaum in der für seine Ernte unpassende Zeit mit Jerusalem verglichen, dessen Erntezeit bereits kam. Wir sollten uns mehr um das Verständnis dieser Bibelstelle bemühen…“

Was schlägt Syrer selbst vor? Er sagt: „Er verfluchte den Feigenbaum“ (Mt. 21:19), weil es geschrieben steht: „Wenn du auf deinem Acker geerntet und eine Garbe vergessen hast auf dem Acker, so sollst du nicht umkehren, sie zu holen, sondern sie soll den Fremden, Weisen gehören … Wenn du deine Ölbäume geschüttelt hast…“ so sollst du das Gleiche tun; tue so in allem, was du besitzt (Vergl. 5.Mo. 24:19-21). Es gibt ein Gebot, das „Pea“ – Rand heißt. D.h. die Ernte vom Rand, vom am Weg entlang Wachsenden soll auf dem Feld gelassen werden. Die Feigen verderben nicht, sie dörren auf dem Feigenbaum aus und bleiben auf dem Baum. Deswegen kann man sie auf dem Feigenbaum noch lange finden. Wenn ein Feigenbaum von irgendjemandem am Weg in Jericho wuchs, dann sollte sein Besitzer sich darum kümmern, dass einige Früchte am Baum blieben. Auch wenn es noch nicht die Zeit war, sollte es jedoch noch Feigen vom letzten Jahr auf dem Baum geben. Ein Feigenbaum ist nicht nur ein Baum, sondern das ist Eigentum. D.h. ein Feigenbaum hat einen Besitzer, der sich um den Baum kümmert, seine Früchte erntet. Dementsprechend verkauft er die Früchte und verdient damit Geld. Jeschua verflucht den Feigenbaum, der Feigenbaum trocknet aus und verursacht Verluste für seinen Besitzer, was zu einer Bestrafung für ihn wird.

Eine andere Interpretation hat einen symbolischen Charakter. Die Moabiter begrüßten die Israeliten nicht mit Brot, als Israeliten nach Kanaan zogen, und wurden deswegen verflucht, sodass niemand von ihnen bis zur zehnten Generation sich der Gemeinde Israels anschließen kann. Vielleicht wurde der Feigenbaum aus dem gleichen Grund bestraft.

Es gibt noch eine weitere Erklärung, bei der der menschliche Faktor eine Rolle spielt. Jeschua wachte in der Früh auf und als er Betanien verließ, verspürte er starken Hunger, da er kein Frühstück hatte. Die Tatsache, dass Jeschua hungrig wurde, zeugt davon, dass menschliche Eigenschaften beim Gottesmenschen Jeschua zum Ausdruck kommen. Da er keine Früchte am Feigenbaum fand, verfluchte er im Zorn den Baum und das dient als Beispiel für seine Schüler, wie gefährlich Zorn sein kann, wie gefährlich die fehlende Vergebung sein kann. Der Meinung der Kirchenväter nach, die von Jeschuas Vollkommenheit, seiner absoluten Gerechtigkeit, Heiligkeit und Güte sprechen, ist es nur ein Beispiel, eine gespielte Zornvorführung, um den Jüngern zu zeigen, wie gefährlich Zorn ist. Und es steht hier genau im Zusammenhang mit Gericht. Im Kontext dessen, dass ein Gericht bald über Jerusalem kommt. Das Gericht bedeutet aber nicht Zorn, sondern das Streben zu vergeben.

Eine weitere Variante der Erklärung. Möglicherweise wurde der Feigenbaum zu einem Gleichnis darüber, was einem Ungläubigen, der keine Früchte bringt, passieren könnte. Oder das war ein Gleichnis für Hörende und Apostel. Wiederum, wenn man sich überlegt, inwieweit es fair war, dann kann man sich an das Beispiel mit dem Blinden aus dem Johannes Evangelium erinnern. Er war blind von der Geburt, nicht weil er dadurch für etwas bestraft wurde, sondern damit sich Gottes Herrlichkeit an ihm offenbaren konnte. Der Allmächtige ist Herr der Welt. Und er kann so machen, dass der Feigenbaum zu Belehrung der anderen verflucht wurde.

Es gibt nur ein weiteres wichtiges Detail in dieser Geschichte. In der jüdischen Tradition wird von Feigen- und Dattelpalmen erzählt, dass diese Bäume nur dann Früchte bringen, wenn der Allmächtige auf ihnen Früchte finden will. Sie bringen Früchte allmählich (die Früchte werden nicht gleichzeitig reif). Andererseits steht es geschrieben, dass der Allmächtige weiß, wann Er nach den Früchten auf dem Feigenbaum suchen soll, und Er weiß, wann ist die Zeit Gerechte aus dieser Welt zu nehmen. Möglicherweise zeigen die fehlenden Früchte darauf hin, dass die Zeit reif ist, Gerechte aus dieser Welt zu holen und dass das eine vorläufige Ankündigung Jeschuas Urteils ist.

Kommen wir zum wichtigsten Teil dieses Kapitel zurück, nämlich zum Tempelbesuch.

 (Mk. 11,15-19):

Und sie kamen nach Jerusalem. Und Jesus ging in den Tempel und fing an, hinauszutreiben die Verkäufer und Käufer im Tempel; und die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler stieß er um und ließ nicht zu, dass jemand etwas durch den Tempel trüge. Und er lehrte und sprach zu ihnen: Steht nicht geschrieben (Jes. 56,7): »Mein Haus wird ein Bethaus heißen für alle Völker«? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht. Und es kam vor die Hohenpriester und Schriftgelehrten, und sie trachteten danach, wie sie ihn umbrächten. Sie fürchteten sich nämlich vor ihm; denn alles Volk verwunderte sich über seine Lehre. Und am Abend gingen sie hinaus vor die Stadt. 

Bemerkenswert ist, dass Jeschua keineswegs den Gottesdienst im Tempel stört. Jeschua stellt keine Ansprüche an Priester und ihre Verpflichtungen. Seine Unzufriedenheit wird durch die Handelstätigkeit auf dem Gelände des Tempels hervorgerufen. Priester kauften ihre Posten in Rom für große Geldsummen und wollten ihre Ausgaben kompensieren. Deswegen erschienen Geldwechsler aller Art, Händler usw. Sogar viel später beschwerte sich Rabban Gamliel, dass die Preise für Tauben ungeheuerlich wachsen, und lehrte sogar, dass die Frau nur ein Opfer für mehrere Geburten bringen soll. (Er lehrte so, nur um Preise für Tauben zu drücken). Im Tempel entstanden Kommerz, Geldgier und Jeschua tritt dagegen an, ohne die Hauptaktivität des Tempels zu berühren.

Zudem erlaubte Jeschua nicht, dass irgendwelche Gegenstände durch den Tempel getragen werden. Der Tempel befand sich auf dem Tempelberg. Und manchmal gingen vom Markt Zurückkehrende mit ihren schweren Taschen durch den Tempelhof, um dadurch den Weg zu verkürzen, Zeit zu sparen und nicht um den Tempelberg herumzugehen. Aber der Respekt zum Tempel (heute wird es bei der Synagoge angewendet) ließ dieses Verhalten nicht zu. Die Tatsache, dass Jeschua solche Menschen aufhält, Händler vertreibt, weist auf seinen Respekt zum Tempel und Tempeldienst hin. Er sorgt dafür, dass das Haus des Allmächtigen ein Gebetshaus für alle Völker darstellt und nicht zur Verdienstmöglichkeit wird.

Priester betrieben eine große kommerzielle Tätigkeit. Sie führten eine internationale Tempelwährung ein, die man wechseln und zur Bezahlung der Opfer verwenden konnte. Sie verkauften Opfer für angemessen hohe Preise. Sie führten ihr Monopol auf den Verkauf der Tauben und des Viehs. Wenn man früher Tauben z.B. in Tiberias kaufen und in den Tempel bringen konnte, wurde es später unmöglich. Man musste alles im Tempel kaufen und die Preise waren besonders. Jeschua verspürte eine gerechte Empörung, die gerade an seine Liebe zum Tempel gebunden ist, und eine tiefe damit verbundene Besorgnis um den Tempel, als er das alles sah.

Weiter gehen wir zum dritten Tempelbesuch Jeschuas.

 (Mk. 11,27-29):

Und sie kamen wieder nach Jerusalem. Und als er im Tempel umherging, kamen zu ihm die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen zu ihm: Aus welcher Vollmacht tust du das? Oder wer hat dir diese Macht gegeben, dass du das tust? Jesus aber sprach zu ihnen: Ich will euch eine Sache fragen; antwortet mir, so will ich euch sagen, aus welcher Vollmacht ich das tue. 

Es ist noch eine Frage oder, besser gesagt, der gerichtliche Untersuchung, in der  einer Aggression spüren kann und der andere nicht. Obwohl Priester und Menschen, die mit Jeschua sprachen, beabsichtigten, ihn zu töten, stellte er eine Rückfrage nicht um sie zu überlisten. Jeschua sucht nach Berührungspunkten, in denen man Übereinstimmung erreichen kann. Alle wissen, dass Johannes von Jeschua als Maschiach zeugte. Um die Frage zu beantworten, woher Jeschua seine Macht hat, schlägt er vor, bei seinen Zeugen anzufangen.

„Sagt mir: War Johannes Taufe vom Himmel oder von Menschen?“ Einigkeit bei dieser Frage war für Jeschuas Antwort wichtig. Das ist kein Versuch, Gelehrte und Älteste in eine Sackgasse zu bringen, sondern es ist eine reale Möglichkeit ihnen Beweise oder eine Abfolge der Zeugnisse zu geben, dass seine Macht vom Himmel ist. Sie konnten ihm aber nicht antworten.

(Mk. 11,31-33):

 Und sie bedachten es bei sich selbst und sprachen: Sagen wir, sie war vom Himmel, so wird er sagen: Warum habt ihr ihm dann nicht geglaubt? Oder sollen wir sagen, sie war von Menschen? Doch sie fürchteten sich vor dem Volk; denn sie meinten alle, dass Johannes wirklich ein Prophet sei. Und sie antworteten und sprachen zu Jesus: Wir wissen’s nicht. Und Jesus sprach zu ihnen: So sage ich euch auch nicht, aus welcher Vollmacht ich das tue.

Wahrscheinlich verstanden diese Menschen, dass Johannes Taufe vom Himmel war. Gleichzeitig hatten sie Angst das anzunehmen, denn das bedeutete sich überwinden müssen. Man darf nicht sagen, dass er von niemandem angenommen wurde. Aber in diesem Fall hatten Menschen Angst Zeugnis über Johannes abzugeben, der längst gestorben war und keinen Bezug zur Frage hatte. Ohne dieses Zeugnis konnte Jeschua ihnen nicht in ihrer Sprache antworten. Würden sie sagen: „Das Zeugnis von Johannes war vom Himmel“, das bedeutet, dass auch vom Himmel war die Stimme: „Dies ist mein geliebter Sohn.“ Würden sie sagen: „Von Menschen.“ Dann müssten sie dem Volk erklären, warum Johannes kein Prophet war. Argumente dafür fehlten ihnen aber. Deswegen antworten sie Jeschua: „Wir wissen es nicht.“ Und diese Antwort lässt sie im Unwissen auch in Bezug auf Jeschuas Macht. Sie waren nicht in der Lage, sich zu entscheiden und eine Antwort zu geben, einen Standpunkt im Streit über die Bestimmung Jeschuas Autorität und Macht zu finden. Jeschua antwortet ihnen, dass auch er ihnen nicht sagt, mit welcher Macht er das tut, weil er ihre Heuchelei und Bereitschaft sieht, nur das anzunehmen, was ihnen passt.

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

14 − 1 =